In einer Einleitung führt die A. in die Thematik und den Aufbau der Untersuchung ein. Der erste Schritt der Arbeit ist die Darlegung der spätantiken Entstehungsumstände der
Historiae adversus paganos des Orosius, die Vorstellung des Autors und dessen Herkunft sowie die Beschreibung des Inhalts und der benutzten Quellen. In der Folge befasst sich die A. im Besonderen mit der Rezeptionsgeschichte des Werks des Orosius von der ausgehenden Antike bis zum Hochmittelalter. Hierbei - auch mit Blick auf die mittelalterliche Überlieferungslage - werden insb. folgende Autoren erwähnt, die sich auf Orosius beziehen, sein Werk zitieren bzw. inhaltlich exzerpieren oder ihn als Vorbild benutzen: Quodvultdeus (
Liber promissionum et praedictorum), Sidonius Apollinaris (Brief an Claudius Mamertus), Papst Gelasius I. (
Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis), Gennadius von Marseille (
De viris illustribus), Cassiodor (
Institutiones), Marcellinus Comes, Jordanes (
De summa temporum vel origine actibusque gentis Romanorum;
De origine actibusque Getarum), Gregor von Tours, Isidor von Sevilla (
Chronica maior;
Etymologiae;
Historia Gothorum, Wandalorum, Sueborum), Anonymus Valesii, Beda Venerabilis (
Historia ecclesiastica gentis Anglorum;
Chronica maiora ad annum 725), Aethicus Ister, Paulus Diaconus, Frechulf von Lisieux, Ado von Vienne, Frutolf von Michelsberg, Honorius Augustodunensis, Otto von Freising, Dante, Petrarca oder Flavius Blondus. Anschließend gibt die Vf. einen Überblick über die Editions- und Forschungslage: zwischen dem 6. und 17. Jahrhundert werden 249 Handschriften mit den
Historiae des Orosius angelegt; neben 28 spätmittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Ausgaben (inkl. der
Editio princeps von 1471) ediert C. Zangemeister das Werk 1882 erstmals kritisch sowie 1990/1991 M.-P. Arnaud-Lindet. Das 2. Kapitel der Untersuchung widmet sich der Bedeutung des Orosius für das geistige Umfeld von St. Gallen und dessen Rezeption. Erwähnung finden hier eine als
Vademecum bezeichnete Sammelhandschrift des Walahfrid Strabo (= Cod. Sang. 878), Notker Labeos Übersetzung und Bearbeitung der
Consolatio Philosophiae des Boethius sowie die Werke (wie
Casus sancti Galli,
De lege dictamen ornandi oder der
Liber benedictionum) und Glossierungen Ekkeharts IV. von St. Gallen. Nach einem allgemeinen Exkurs zur Begrifflichkeit von Glossen (
Scholia,
Commentum/
Commentarius) unter Zuhilfenahme der
Etymologiae des Isidor von Sevilla, der Abhandlung
De grammatica des Alkuin sowie der
Glossa ordinaria (initiiert durch Anselm von Laon) fokussiert die A. im Besonderen die Glossenforschung und deren Themenstellung bezüglich Art, Form, Funktion und Inhalt von (volkssprachigen) Glossen und skizziert dabei die Forschungsergebnisse. Nach der Beschreibung von Glossaren wie den
Etymologiae des Isidor von Sevilla oder dem
Glossarium Salomonis beschäftigt sich die Vf. mit Textglossaren zu Orosius, die in fünf Gruppen eingeteilt sind: 1.: St. Gallen, Stiftsbibliothek, cod. 299 (nach 2. H. 9. Jh.); München, BSB, clm. 14754 (zw. 894 u. 930, 2. H. 9. Jh.); Leipzig, UB, Rep. I. 14 (E. 11. Jh.); Sélestat, Bibl. Humaniste, ms. 7 (
olim ms. 100) (1. V. 12. Jh.); München, BSB, clm. 17210 (12./13. Jh.); 2.: Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 32 (
olim cod. 1060) (10. u. 12. Jh.); München, BSB, clm. 6408 (10./11.? Jh.); 3.: Leiden, Bibl. d. Rijksuniversiteit, Voss. Lat. Q. 69 (um 800); Milano, Ambrosiana, M. 79 sup. (2. H. 11. Jh.); 4.: Epinal, BM, ms. 72 (um 700); Erfurt, UB, Amplon. F. 42 (um 820); Cambridge, Corpus Christi College, ms. 144 (2. V. 9. Jh.); Werden-Glossar (A. 9. Jh.) (Düsseldorf, UB, Fragm. K 19: Z 9/1, f. 1-8; Essen-Werden, Pfarrhof «A», f. IV, «B», f. 5 [verschollen]; München, BSB, cgm. 187 III (e.4), f. 1f., 3f.; Köln, Privatbesitz Dr. Füngling, f. 1f. [Verbleib unbekannt]; Münster, UB, Ms. Paulinianus 719 (271), f. 5v und IV [zerstört]); 5.: Vat. Reg. lat. 1650 (Sammelcodex mit Glossen). Darüber hinaus werden auch glossierte Werktexte (also: «Glossen tragende Grundtexte, die entweder als solche konzipiert und angefertigt worden sind oder deren Glossen in einer oder mehreren späteren Etappen beigeschrieben wurden», S. 158-9) untersucht und deren Überlieferungszeugen benannt sowie ebenfalls in Gruppen unterteilt: A.: St. Gallen, Stiftsbibl., cod. 621 (E. 9. Jh., Glossen im 10.?/11. Jh.); Engelberg, Stiftsbibl., cod. 1009 (12. Jh.); Schaffhausen, Stadtbibl., Min. 60 (12. Jh.); Stuttgart, WLB, cod. Hist. 2° 410 (12. Jh.); B.: Vat. Reg. lat. 296 (M. 9. Jh.); Bern, Burgerbibl., cod. 160 (10.?/11. Jh.); Paris, BNF, lat. 17543 (12. Jh.); Leiden, Bibl. d. Rijksuniversiteit, Voss. Lat. F. 13 (1. H. 12. Jh.); Paris, BNF, lat. 4877 (1. H. 12. Jh. oder 12./13. Jh.?); C.: Boulogne-sur-Mer, BM, ms. 126 (1. H. 11. Jh.); St. Omer, Bibl. de l'agglomération, ms. 717 (2. H. 11. Jh.); St. Petersburg, Rossijskaja Nacional'naja Bibl., F.v.I.9 (1. H. 9. Jh.); Paris, BNF, lat. 4880 (13. Jh.); D.: Vat. lat. 1974 (10./11. Jh.), Vat. Reg. lat. 691 (11. Jh.); ohne Gruppenzuteilung: München, BSB, clm. 6308 (E. 8. Jh.); Vat. Pal. lat. 829 (8./9. Jh.); Venezia, Marciana, lat. Z. 349 (1830) (M. 9. Jh.); Einsiedeln, Stiftsbibl., cod. 351 (E. 9./10. Jh.); Wolfenbüttel, HAB, Gud. lat. fol. 80 (1. H. 11. Jh.); Paris, BNF, lat. 4871 (M. 11. Jh.); Leipzig, UB, Rep. I. 14 (2. H. 11. Jh.); Vendôme, BM, ms. 99 (11. Jh.); Cambridge, Trinity Coll., O.4.34 (12. Jh.); Leiden, Privatbesitz Erik von Scherling, [Verbleib unbekannt]; Berlin, SB, lat. fol. 223 (a. 1178-90), Paris, BNF, lat. 4876 (E. 12. Jh.). Nicht unberücksichtigt bleiben hierbei abschließend die illustrierten Kodizes wie z.B. Vat. lat. 3340 (11. Jh.); Trier, Stadtbibl., Hs. 1096 (10. Jh.); Laon, BM, ms. 137 (M. 8. Jh.); London, BL, Burn. 216 (E. 12. Jh.); Stuttgart, WLB, cod. Hist. 2° 410 (12. Jh.). Breiten Raum nimmt nun die Untersuchung des Codex Sangallensis 621; hierbei werden dessen Entstehungsumstände und -zeit beleuchtet, die Handschrift eingehend kodikologisch, paläographisch sowie inhaltlich beschrieben (neben den glossierten
Historiae des Orosius finden sich
Additamenta ex Eusebii historia ecclesiastica,
De lege dictamen ornandi und zwei weitere lateinischen Zeilen des Ekkehart IV. von St. Gallen), deren unterschiedlichen Glossenschichten herausgearbeitet, das Forschungsinteresse an den Glossierungen des Ekkehart ergründet, die Bedeutung Notkers III. von St. Gallen für die Anlage des Kodex eruiert sowie Sprache und Stil Ekkeharts analysiert. Insgesamt versucht die A. im Anschluss eine Glossentypologie zu erarbeiten und am Beispiel des Cod. Sang. 621 konkret anzuwenden; dies führt zu folgender Typologisierung: Korrektur- und Variantenglossen; lexikalische Glossen; grammatische Glossen; syntaktische Glossen; Kommentarglossen; Capitulum; Lagennummerierung; humanistischer Zusatz. Das Kapitel beschließen ein Überblick über das «Weiterleben der Korrekturen und Glossen» (S. 301) im Cod. Sang. 547 sowie ein Vergleich des Cod. Sang. 621 mit Stuttgart, WLB, cod. Hist. 2° 410, Schaffhausen, Stadtbibl., Min. 60, sowie Engelberg, Stiftsbibl., cod. Engelbergensis 1009, um ein etwaiges Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Handschriften zu belegen. Das fünfte und letzte Kapitel befasst sich mit ausgewählten Themenkonplexen, mit denen sich Ekkehart im Besonderen in seinen Glossierungen beschäftigt hat. Hierbei handelt es sich um Erziehung und Bildung, Geographie und Personen sowie Völker der Erde, Handlungs- und Orientierungsmuster, Medizin, Sagen und Legenden, militärische Dinge oder die alltäglichen Lebenswelten des Glossators. Einige Abbildungen aus den Handschriften, Appendices (Inhaltsübersicht der
Historiae des Orosius; Herkunft der ältesten Überlieferungszeugen;
Excerptum de libro Horosii - Übersicht der Stellen aus Cod. Sang. 878, einer Sammelhs. des Walahfrid Strabo; Verzeichnis der Handschriften mit Einträgen Ekkeharts IV.; Cod. Sang. 905:
Glossarium Salomonis - Orosiusexzerpte; Beispiele von Marginalien aus der Werktextgruppe B; sichere und vermutete Herkunft von Orosiusglossen; Schriftvergleich u.a. mit Notker Labeos und Ekkeharts Schrift; Zählung der Glossen der Bücher I-VII; erweitertes Stemma nach Arnaud-Lindet) und Verzeichnisse (der Abkürzungen, Siglen, Quellen, Literatur, Webseiten, Handschriften, Namen und Sachen) runden die Untersuchung ab. Ein Digitalfaksimile bietet die Vf. unter http://orosius.monumenta.ch an. Das Buch wird in «Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur» 140 (2011) 221-6 von Petrus Wilhelmus Tax, in «Scriptorium» 64 (2010) 309-12 von Veronika von Büren und in «Medium aevum» 79 (2010) 344-6 von Paolo Vaciago rezensiert. (Michael Bachmann)
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